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Menschen Mobilität zurückgeben - damals wie heute das Ziel

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Historisches Foto aus dem Januar 1955. Auf dem Bild Max Näder (Mitte) mit seinen USA-Agenten Eugene Wagner (rechts, das ist sein Vertriebspartner in den USA) und Harry Fahrenholz (links). Es handelt sich um die Anlieferung von in Deutschland gefertigten Jüpa-Kniegelenken in Salt Lake City. FOTO: R

100 Jahre Ottobock im Jahr 2019: Firmengeschichte ist eng mit dem Unternehmenssitz in Duderstadt verbunden

Von Britta Eichner-Ramm    Pioniergeist, Mut und Entscheidungsfreude haben 1919 den Orthopädiemechaniker Otto Bock ausgezeichnet, der mit Gründung der Orthopädische Industrie GmbH in Berlin den Startpunkt für eine beispiellose Erfolgsgeschichte setzte.Angesichts einer großen Zahl an Weltkriegsversehrten hatte Firmengründer Otto Bock erkannt, dass der große Bedarf an Prothesen und orthopädischen Hilfsmitteln mit traditionellen handwerklichen Produkten kaum zu decken war. Seine Idee: Prothesenpassteile in Serienproduktion zu fertigen und direkt an Orthopädiemechaniker vor Ort zu liefern.Damit legte er den Grundstein für die Orthopädische Industrie und für ein Unternehmen, das als Weltmarktführer in der Prothetik gilt. Ziel damals wie heute: Menschen Mobilität zurückzugeben und Funktionen zu erhalten, Menschen mit Handicap durch Bewegungsfreiheit und Selbstständigkeit ein maximales Maß an Lebensqualität zu ermöglichen.Infolge der unruhigen politischen Lage in der Nachkriegszeit verlagerte Firmengründer Otto Bock sein Unternehmen von Berlin in seine Heimat nach Königsee in Thüringen. Er entwickelte die Prothesen-Passteile weiter und ließ neue Materialien auf ihre Verwendbarkeit für die Produktion testen. Anfang der 30er-Jahre setzte das Unternehmen Aluminiumteile in der Prothetik ein.


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Ottobock in Zahlen

Das Medizintechnikunternehmen Ottobock verzeichnet eigenen Angaben zufolge „seit Jahren einen stabilen Wachstumskurs: 2016 stieg der Umsatz währungsbereinigt um 4,8 Prozent auf 884,5 Millionen Euro und die Mitarbeiterzahl auf mehr als 7000 weltweit.“ Koordiniert werden die internationalen Aktivitäten des Unternehmens in der Zentrale in Duderstadt.

Mit den vier Geschäftsbereichen Prothetik, Orthetik, Human Mobility (manuelle und elektrische Rollstühle sowie Reha-Produkte) und MedicalCare sei das Unternehmen „bestens aufgestellt und in der Lage, seinen Kunden eine nahezu unvergleichbar breite Produktpalette, perfekt aufeinander abgestimmter Lösungen und umfangreiche Dienstleistungen anzubieten“, heißt es in der Selbstdarstellung des Unternehmens.
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Firmensitz in Duderstadt. FOTO: R

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das gesamte Privatvermögen der Familie und die Fabrik in Königsee enteignet, Marie und Otto Bock flohen nach Duderstadt. Otto Bock ermöglichte 1935 dem jungen Max Näder eine Ausbildung zum Orthopädiemechaniker und Industriekaufmann. 1943 heirateten Otto Bocks Tochter Maria und Näder. Drei Jahre später baute Näder in Duderstadt eine neue Vertriebsstätte zur Belieferung der damaligen Westzonen auf.

1947 wurde Näder persönlich haftender Gesellschafter und Geschäftsführer der neu gegründeten Otto Bock Orthopädische Industrie KG. Fachkräfte, Geld und der Rohstoff Holz waren knapp in jener Zeit, sodass Innovationskraft und Erfindergeist gefragt waren. Erstmals kamen Polyurethan-Kunststoffe in der Beinprothetik zum Einsatz. 1953 - dem Jahr, in dem Firmengründer Otto Bock im Alter von 64 Jahren in Duderstadt starb - wurde die Otto Bock Kunststoff gegründet, bis heute ein wichtiger Technologiepartner für Ottobock.

Das Unternehmen wuchs in den Folgejahren, Näder setzte auch international unternehmerische Akzente. 1958 wurde die erste Ottobock Auslandsgesellschaft in den USA gegründet. Heute zählt das Unternehmen 48 weitere Auslandsgesellschaften, das familiengeführte Unternehmen zählt längst zu den Global Playern der Branche.

Zwei bahnbrechende Entwicklungen führten zwischen 1960 und 1970 die Qualität der prothetischen Versorgung auf ein neues Niveau: die Myoelektrik für Armprothesen und das Modularsystem für Beinprothesen. 1987 gründete Näder die firmenunabhängige Otto Bock Stiftung, ein Jahr später beginnt das Engagement des Unternehmens für den paralympischen Sport. Seit den Sommerspielen 1988 in Seoul leistet Ottobock technischen Service für die olympischen Athleten.

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Dritte Generation

1990 übernahm Prof. Hans Georg Näder im Alter von 28 Jahren die Leitung des Familienunternehmens und entwickelte Ottobock in dritter Generation zu einem Unternehmen weiter, das weltweit an Standorten in mehr als 40 Ländern aktiv ist. Der enteignete Stammsitz in Königsee wurde 1992 zurückgekauft. Dort wurden anfangs 200 Rollstühle gefertigt, heute sind es mehr als 45 000 Produkte. Der Bau eines Logistikzentrums und von neuen Seminarräumen für die Ottobock Academy sind geplant.

Mit der Eröffnung des Science Center Berlin kehrte Ottobock 2009 zu seinen Wurzeln zurück. Im selben Jahr starb Max Näder im Alter von 94 Jahren. Das Unternehmen hatte da schon mit dem C-Leg das weltweit erste komplett mikroprozessorgesteuerte Beinprothesensystem auf den Markt gebracht, weitere Produktentwicklungen wie die Michelangelo Hand oder das mechatronische C-Brace Orthesensystem trugen zum Wandel vom Anbieter einzelner Produkte hin zum Angebot ganzheitlicher Versorgungskonzepte bei.

Ganzheitliche Versorgungskonzepte

Der Jahresumsatz der Ottobock Health Care GmbH erreichte 2015 erstmals mehr als 800 Millionen Euro und die Mitarbeiterzahl erhöhte sich auf mehr als 6500 weltweit. Ein Netzwerk aus Vertriebs- und Servicegesellschaften in mehr als 50 Ländern war entstanden. Professor Hans Georg Näder kündigte 2016 den Verkauf von Anteilen an der Otto Bock HealthCare GmbH an. Nach 98 Jahren Firmengeschichte sollte somit erstmals ein familienfremder Anteilseigner als Partner dazukommen. Das schwedische Private Equity-Unternehmen EQT übernahm im vergangenen Jahr 20 Prozent der Otto Bock HealthCare GmbH. 80 Prozent bleiben weiterhin in den Händen der Otto Bock Holding GmbH & Co. KG, die zu 100 Prozent der Inhaberfamilie Näder gehört. Mit mehreren Akquisitionen baute das Medizintechnikunternehmen Ottobock seine führende Position aus, etwa durch die multiartikulierte Hand BeBionic und das Unternehmen BionX Medical Technologies.

Im Vorgriff der Umwandlung in die neue Rechtsform SE & Co. KGaA konstituierte sich 2017 außerdem für Ottobock ein europäischer Aufsichtsrat. Damit habe das Untenehmen Ottobock ein Jahr vor dem 100-jährigen Bestehen die Weichen für die Zukunft gestellt, sagte Näder. Mit der seit 3. April 2018 geltenden neuen Rechtsform SE & Co. KGaA sei der Einfluss der Familie auf das Unternehmen auf Dauer gesichert.

Unter dem Stichwort Generation Change 4.0 steht der Generationswechsel im Hause Näder an: „Meine Töchter Georgia und Julia übernehmen im neu etablierten Aufsichtsrat, der Geschäftsführung unserer Familienholding und in der Global Foundation Verantwortung“, so Hans Georg Näder. Mit dem schwedischen Partner EQT sei zudem ein Transformationsprogramm auf den Weg gebracht worden. Dr. Oliver Scheel hat zum Jahresbeginn 2018 als CEO die Leitung der operativen Geschicke des Unternehmens übernommen.