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Holger Frase in Adelebsen: "Fühle mich in der Ehre verletzt"

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Holger Frase (SPD). Foto: Swen Pförtner

Schlagabtausch im Rathaus in Adelebsen: Bürgermeister Holger Frase (SPD) hat die Vorsitzende der CDU-Fraktion im Rat, Nicole Schulz, angezeigt.

Adelebsen. Reibungen sind innerhalb politischer Gremien normal. Dass ein Bürgermeister Ratsmitglieder anzeigt, ist schon weniger alltäglich. Genau das geschieht aber aktuell im Flecken Adelebsen: Bürgermeister Holger Frase (SPD) hat nach eigenen Angaben Strafanzeige gegen die CDU-Fraktionsvorsitzende Nicole Schulz gestellt. Sein Vorwurf: Beleidigung. Große Teile des Rates zeigten sich in der Sitzung des Gremiums am Donnerstag entsetzt über dieses Vorgehen des Hauptverwaltungsbeamten im Flecken.

„Ich fühle mich durch Ihren Antrag in der Ehre verletzt“, sagte Frase als Teil der „Mitteilungen der Verwaltung“ während der Ratssitzung. Zahlreiche Bürgerinnen und Bürger verfolgten die Sitzung. Der Bürgermeister bezieht sich auf einen Antrag der Fraktionen von CDU, Grünen und FDP/FWG WiBar aus der Ratssitzung im September. Dort hatte Schulz als Vorsitzende der größten beteiligten Fraktion einen „politischen Antrag zu Drucksachen und zur Ratsarbeit“ vorgestellt, der sich auf den „Kommunikationsstil“ Frases bezog.

Darin forderten die Fraktionen, dass jede Drucksache der Verwaltung künftig bestimmte Informationen beinhalten muss, etwa „zur haushaltsrelevanten Auswirkung“ und zur „fachlichen Beurteilung der Klimarelevanz“. Und: „In Mailverkehr und Drucksachen sind ausschließlich faktenbasierte sachliche Aussagen zu treffen. Wertungen und Einschätzungen sind als solche zu kennzeichnen.“ Ziel sei es, „das Arbeiten von Ratsmitgliedern und Verwaltung übersichtlicher und transparenter zu gestalten und die Kommunikation zu versachlichen.“ 

Frase interpretiert das als Vorwurf und als Verletzung seiner persönlichen Ehre. In der Ratssitzung bezieht er sich auf seine Ausbildung als Jurist: Es sei die Pflicht von Staatsbediensteten, Straftaten anzuzeigen, die ihnen bekannt werden – sonst begingen sie selbst eine Straftat. Gleich, ob es sich um Betrug, Erpressung, Morddrohungen oder Beleidigungen handle: „Ich zeige alles an, was mir bekannt wird. Vom Recht habe ich immer Gebrauch gemacht und werde das auch wieder tun.“

Für den Schutz Ehrenamtlicher setzt sich Frase seit Jahren ein, landete damit auch schon überregional in den Medien. Dazu gehöre auch der Schutz vor Beleidigung und Angriffen auf die persönliche Ehre, findet der Bürgermeister. 

Seine Reaktion auf den Antrag von CDU, Grünen und FDP/FWG WiBar jedoch entsetzt die Mitglieder der betroffenen Fraktionen. „Es war eine sachlich vorgebrachte Kritik“, verteidigte Petra Löb-Kompart (Grüne) den Antrag, „und eine Kritik hat mit einer Beleidigung nichts zu tun.“ Ilona Springer (FWG WiBar) stimmte dem zu: „Diese Reaktion ist extrem bedenklich.“ Direkt an Frase gewandt sagte sie: „Sie verdrehen den Schutz von Ehrenamt.“ Schließlich besetzten auch sämtliche Ratsmitglieder ein Ehrenamt, genauso wie der Bürgermeister. Cornelia Sonne (FDP) stellte für sich gar fest: „Wenn so etwas hier passiert, habe ich keine Lust mehr.“

Nach Angaben der Grünen in Adelebsen haben die Fraktionen nach der Ratssitzung im September eine Konkretisierung ihres Antrags erarbeitet. Schulz reichte die überarbeitete Vorlage ein – doch, so werfen die Grünen es ihm vor, der Bürgermeister soll die Weitergabe verweigern. Ein Amtsverstoß, befinden CDU, Grüne, FDP und FWG WiBar.

„Eine rote Linie überschritten“ habe Frase aber mit seiner Strafanzeige, schreiben die Grünen auf ihrer Website: „Ein demokratisch legitimiertes Ratsmitglied mittels strafrechtlicher Schritte mundtot machen zu wollen, geht zu weit.“ Dem Bürgermeister fehle es an „grundsätzlichem Demokratieverständnis“.

Seltsam sei zudem, dass Frase nur Schulz angezeigt habe – denn der Antrag werde ja von elf der 18 ehrenamtlichen Ratsmitglieder (Frase ist qua Amt das 19. Mitglied) getragen, nicht nur von einem.

Wenn das der Fall sei, frage er sich, ob mit dem moralischen Kompass des Gremiums irgendetwas nicht in Ordnung sei, sagte Frase. Löb-Kompart konterte: „Wenn wir für Kritik kriminalisiert werden, ist tatsächlich bei jemandem etwas mit dem Kompass nicht in Ordnung.“ Zumal, wie Löb-Komparts Parteifreundin Andrea Ströbele anmerkte, Frases Argumentation, als Staatsbediensteter zur Anzeige von Straftaten verpflichtet zu sein, ja nur stimmen könne, wenn es sich tatsächlich um Straftaten handle. Und das sei offensichtlich nicht immer der Fall: „Ich hatte auch die Ehre, einmal von Ihnen angezeigt zu werden“, sagte Ströbele, „und die Staatsanwaltschaft hat die Sache ohne jeden Kommentar eingestellt.“

Auffällig zurückhaltend zeigten sich einerseits die Angezeigte selbst – und Frases Partei. Die Mitglieder der SPD-Fraktion verfolgten die Diskussion zunächst schweigend. Am deutlichsten zur Seite sprang Frase Stunden später in seiner Haushaltsrede der Fraktionsvorsitzende Michael von Minden, der anmerkte: „Ich hoffe, dass Beleidigungen in Zukunft ausbleiben.“ Sein Parteifreund Walter Koch beklagte: „So ein Hauen und Stechen habe ich noch nicht erlebt. Das zerreißt unsere Arbeit.“ Bei einzelnen Abstimmungen, die später auf der Tagesordnung der Ratssitzung standen, stand indes der Bürgermeister allein da – auch die SPD stimmte anders ab als er oder enthielt sich.

Berthold Freter, ebenfalls SPD und Ratsvorsitzender, bat schließlich alle Beteiligten, „weitere Schärfen rauszunehmen“. Und die Gleichstellungsbeauftragte des Fleckens, Sylke Hoim-Kilper, entschied sich, als sie eigentlich ihren Bericht abgeben sollte, stattdessen für mahnende Worte: „Das Miteinander wird immer schwieriger, die Menschen nehmen immer weniger Kritik an. Wir haben das Glück, in einem Land zu leben, wo man seine Meinung äußern darf.“

Wie es im Konflikt zwischen Bürgermeister und Ratsfraktionen weitergeht, ist unklar. Am Tag nach der Ratssitzung, die sich letztlich über mehr als viereinhalb Stunden erstreckte, waren weder Frase noch Schulz für eine weitere Einschätzung zu erreichen.