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Ein Pflaster für das kranke Herz

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Das Herzpflaster - von der Arzneimittelentwicklung bis zur direkten Anwendung. FOTO: R

Von Ulrich Meinhard    Pflaster drauf und gut. Kleine Wehwehchen lassen sich oft auf diese Weise erfolgreich behandeln. Bei organischen Schäden genügt diese Therapie nicht und schon gar nicht am Herzen. Stimmt so nicht, versichert Wolfram-Hubertus Zimmermann.Der Medizinprofessor ist Direktor des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie am Universitätsklinikum Göttingen. Seit über 20 Jahren forscht er zur Problematik Herzmuskelschwäche und steht jetzt mit seinem Team vor einem Durchbruch, der weltweit auf große Beachtung stoßen dürfte. Die am Institut entwickelte zellbasierte Reparatur von Herzmuskeldefekten ist, einfach ausgedrückt, nichts anderes als das Aufkleben eines Pflasters auf eine geschädigte Herzwand. Läuft alles wie im Labor und im Versuch bereits erfolgreich getestet, bedeutet das für Menschen mit einer Herzinsuffizienz eine neue Lebensqualität – mehr noch: eine neue Lebensperspektive.Besucher der kürzlich veranstalteten „Nacht des Wissens“ werden bereits vom „Herzpflaster“ gehört haben, Zimmermann und seine Kollegen haben bei dieser Gelegenheit im Uniklinikum von ihrem Forschungsprojekt berichtet. Ihre Ausführungen stießen auf Staunen und große Beachtung. Zur besseren Verständlichkeit des Prinzips gebraucht der 48-Jährige das Beispiel eines Hauses, aus dessen Wand Steine herausfallen: Der Eigentümer fügt einfach neue Steine in das entstandene Loch ein. Schaden behoben.

Göttinger Forscher stehen kurz vor Durchbruch für bahnbrechendes Therapeutikum

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Wolfram-Hubertus Zimmermann FOTO: R

Wie der Ausfall eines Auto-Zylinders

Herzgewebe stirbt ab, wenn ein Sauerstoffmangel eintritt. „Bei andauernder Blockade von Herzkranzgefäßen kommt es zu einem Schaden“, erläutert der Professor. Eine der Hauptursachen für geschädigtes Gewebe ist ein Herzinfarkt. Ein Teil des schlagenden Herzmuskels stirbt ab. Erreicht diese Masse eine bestimmte kritische Größe, kommt es zu einer Herzschwäche.

Betroffene nehmen das unter anderem aufgrund erschwerter Atmung etwa beim Treppensteigen wahr, weitere Anzeichen können Wassereinlagerungen in den Beinen sein und der häufige nächtliche Gang zur Toilette. „Eine Herzschwäche ist vergleichbar mit dem Ausfall eines Zylinders in einem Auto“, hat Zimmermann einen weiteren Vergleich parat.

Das Herzgewebe selbst erneuert sich nicht von selbst, es ist, ebenso wie Gehirnzellen, nicht vermehrungsfähig. Deshalb soll das Herzgewebe mithilfe eines Pflasters erneuert werden. Das nämlich besteht aus schlagenden Zellen. Dieses Gewebe wird wie eine Einlage auf das menschliche Herz genäht. Die Herzwand wird wieder vergrößert.

Das gezüchtete Zellgewebe kann aus allen Körperzellen hergestellt werden, also auch aus Haar-, Haut- und Stammzellen. Für die Entdeckung, dass alle Zellen Eigenschaften wie embryonale Stammzellen haben, hat ein japanischer Forscher 2012 den Nobelpreis für Medizin bekommen. Seine Erkenntnisse kommen den Göttinger Forschern um Zimmermann zugute. Die haben ihre Herzpflaster aus Nabelschnurzellen gewonnen. „Aber das ist reiner Zufall. Es hätte auch jede andere Art von Zellen sein können“, erklärt der Herzforscher. Im Labor- und auch bei Tierversuchen mit Ratten und Primaten hat das Herzpflaster bereits funktioniert. „Wir konnten so messen, wie viel Kraft in diesem Implantat steckt“, berichtet der 48-Jährige von hoffnungsvollen Versuchen, die seit gut zwei Jahren stattfinden. Für das Institut für Pharmakologie und Toxikologie ist es ein großer Gewinn, dass sich das Deutsche Primatenzentrum in Göttingen in unmittelbarer Nähe befindet. Versuche auch mit Rhesusaffen, als dem Menschen ähnliche Säugetiere, seien unumgänglich, sagt Zimmermann. Seine Mitarbeiter und er würden „extrem bewusst“ mit Tierversuchen umgehen. Aber um ein Therapeutikum zu entwickeln, das seine positive Wirksamkeit am Menschen haben soll – für diese klinische Prüfung seien Tierversuche unverzichtbar.

„Man kann auch jetzt nicht alles vorhersagen, aber man muss so sicher sein wie möglich“, nennt er das Grundprinzip für eine Anwendung am Menschen. Schließlich haben viele Patienten mit Herzschwäche nur eine Lebenserwartung von einem Jahr, auch Transplantationen seien in der Praxis keine wirkliche Alternative. Denn: „Davon gibt es in Deutschland 300 im Jahr – bei zwei Millionen Erkrankten insgesamt, von denen rund 8000 akut ein neues Herz brauchen“, bringt der Professor die Zahlen in Relation. Es gebe einfach nicht genügend Spenderherzen.

Frühestens im ersten Quartal 2020

Nach dem behördlich vorgegebenen Prozess der Arzneimittelentwicklung werden Patienten frühestens im ersten Quartal 2020 mit einem Herzpflaster behandelt werden können. Der Eingriff kann minimalinvasiv erfolgen, ein relativ kleiner Schnitt an der Brust genügt, um das Gewebe zu platzieren. Zimmermann mit Blick in die Zukunft: „Wir glauben, dass wir mit diesem Therapeutikum einen anderen Weg aufzeigen können, einen, der weit über das hinausgeht, was die klassischen Behandlungen ermöglichen.“