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Internationale Händel-Festspiele Göttingen

„Alles, was Oper reich macht.“

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Christopher Lowrey - Bertarido FOTOS: IHFG

G-meinsam für G-nuss!

Ob Geschichte geschrieben wird, darf im September das Publikum der Festspieloper Rodelinda entscheiden – doch Geschichte liegt ohne jeden Zweifel in der Luft an diesem ersten Augustmontag, genauer: vor der Probebühne des Deutschen Theaters Göttingen in der Güterbahnhofstraße. Anzumerken ist es den Beteiligten nicht – oder aber, sie lassen sich nichts anmerken: Produktionsleiterin und Inspizientin Tilla Foljanty begrüßt freundlich jeden Neuankömmling, Laurence Cummings entsteigt winkend dem Wagen, und Jochen Schäfsmeier, Geschäftsführender Intendant der Internationalen Händel-Festspiele Göttingen, hat es sich nicht nehmen lassen, mit dem Fahrrad anzureisen – absolut pünktlich und äußerst fröhlich. Die Stimmung könnte man fast schon ausgelassen nennen, daran ändern auch FFP2-Masken und respektvoller Abstand zueinander nichts, die die besonderen Umstände der diesjährigen Festspiele dokumentieren. 

Die Proben für die Festspieloper Rodelinda laufen. Ein Werkstattbericht

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Anna Dennis - Rodelinda
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Owen Willetts - Unulfo
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Thomas Cooley - Grimoaldo

Nein, die Herausforderung für Ensemble und Künstlerisches Leitungsteam liegt ganz woanders, nämlich in der besonderen, historischen Verantwortung: Mit Rodelinda nahm 1920 von Göttingen aus die Händel-Renaissance ihren Anfang. Hundert Jahre (und 475 Tage) später diesen Stoff erneut aufzugreifen, erfordert gleichermaßen Mut und Sensibilität. Das weiß auch Regisseur Dorian Dreher: „Das Werk, welches den erneuten Siegeszug der Opern Händels im 20. Jahrhundert begründete, am originalen Ort der Wiederentdeckung inszenieren zu können, ist gleichermaßen herausfordernd wie beflügelnd. Wir versuchen, mit unserer Lesart verschiedene Interpretationsansätze zu bündeln und auf diese Weise zu zeigen, wie relevant dieses zentrale Musiktheaterwerk heute noch ist.“ Darum ist das Projekt bei ihm und Hsuan Huang (Bühnen- und Kostümbild), den Gewinnern des dafür ausgelobten Regieteamwettbewerbs, in besten Händen.

Beide erläutern den gemeinsamen Ansatz, der unterschiedliche Epochen miteinander in Beziehung setzt, zuallererst die entstehungsgeschichtliche des Stoffes, die das Revolutionäre der Oper offenbart: Händel legte den Fokus weit eher auf innere Bewegtheit statt äußere Bewegung. Daher passt sein Werk so hervorragend zu den künstlerischen Bewegungen des eingehenden 20. Jahrhunderts, vorrangig zum Expressionismus. Kein Wunder, dass die Werke Max Ernsts eine große Rolle für Bühnen- und Kostümbild gespielt haben. Die behagliche Wohnzimmeratmosphäre, die durch Sofa und Kamin aufkommen mag, ist trügerisch: Dieser Raum ist ein Reagenzglas, in dem die aufeinandertreffenden, grundverschiedenen Lebens- und Gesellschaftsentwürfe ein hochexplosives Gemisch bilden.

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Franziska Gottwald - Eduige
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Julien Van Mellaerts - Garibaldo
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Laurence Cummings, Musikalische Leitung
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Dorian Dreher, Regisseur
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Hsuan Huang, Bühnen- und Kostümbild

Eine Ausgangslage mit hohem Aktualitätsbezug also; für Regisseur Dorian Dreher trotzdem noch lange kein Grund, das Stück jetzt mit allzu viel Modernisierungswut um ihrer selbst willen auf links zu drehen und ihm damit letztlich Gewalt anzutun. Im Gegenteil: „Ich inszeniere jedes Werk so, dass die Beziehungen der Figuren zueinander für den Zuschauer möglichst sinnlich erlebbar werden“, sagt er, „Fragen nach ‚modern‘ und ‚klassisch‘ stellen sich für mich daher nicht.“ Angesichts der wahrlich barocken, weil üppigen Angebote des Komponisten würde das den Blickwinkel wahrscheinlich ohnehin zu sehr verengen: „In ‚Rodelinda‘ konfrontiert uns Händel mit detailliert gezeichneten Charakteren, die in feinsinnige Beziehungen zueinander treten. Liebe, Hass, Freundschaft, Entsagung und Vereinigung – in diesem Stoff steckt alles, was die Gattung Oper so reich und vielseitig macht.“

Das weiß auch das Ensemble zu schätzen; Thomas Cooley etwa ist ganz begeistert von seiner Rolle: „Grimoaldo gehört zu den faszinierendsten Charakteren, die Händel erschaffen hat, vor allem, weil er quasi das psychologische Zentrum der Handlung ist. Sein Streben nach Macht und nach Rodelindas Zuneigung verursachen erst die Probleme aller anderen. Händel schrieb diese Rolle ja ursprünglich für den Tenor Francesco Borosini, ebenso wie die Rolle des Bajazets in Tamerlano. Die Musik, die er seinem Sänger anvertraute, ist immer hochemotional, stark, elegant – und abgeschmeckt mit einer Prise Wahnwitz, der sich etwa in großen Tonsprüngen offenbart. Vor allem liebe ich die chromatischen, ,gequälten’ Accompagnato-Rezitative, die Händel diesem großen Sänger schenkte.“

Mit Freude denkt Thomas Cooley an seine bisherigen Engagements in Göttingen zurück: Es ist nämlich das zweite Mal, dass er Borosini gleichsam „beerbt“, denn auch den eben erwähnten Bajazet hat er hier schon gesungen, ebenso wie die Titelrolle in Samson. Kein unbekanntes Gesicht also bei den Händel-Festspielen, ebenso wenig wie Franziska Gottwald. Sie war bereits als Erissena in Poro zu erleben, und sie hat noch viel vor in der Universitätsstadt: „Ich würde sehr gerne die Frauenrollen aus Serse hier einmal singen. Ich liebte den Arsamene, aber auch Amastre würde mich reizen oder Bradamante in Alcina.“ Ihre Lust auf Händel ist also ebenso wenig gestillt wie die auf Göttingen. Was macht diese Stadt so einzigartig? „Göttingen hat diese ganz besondere Atmosphäre von Studentenstadt mit enormer Geschichte, und sie ist dabei so umwerfend schön und gleichzeitig gemütlich“, freut sich Gottwald, „es ist so leicht, sich hier wohl und zuhause zu fühlen.“ Und welcher Ohrwurm aus Rodelinda lässt sie nicht los, wenn sie durch die Straßen flaniert? „Immer der, den wir gerade proben“, lacht die Sängerin, „es gibt so viele!“

Mal sehen, welcher davon sich ab 9. September am hartnäckigsten in den Köpfen der Zuschauer:innen festsetzt! 

G-meinsam für G-nuss!

Pünktlich zum Beginn der diesjährigen Festspiele wird die 3G-Regel (geimpft, genesen, getestet) voraussichtlich auch in Niedersachsen greifen. Frühes Erscheinen vor Ort und die Bereithaltung der erforderlichen Dokumente sorgt dann für einen pünktlichen Beginn der Veranstaltungen.