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57. Verkehrsgerichtstag in Goslar

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Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. 02. 2018 sind Diesel-fahrverbote zur Luftreinheit ausnahmsweise möglich. Dafür muss eine Überschreitung des seit 2009/2010 EU gesetzlich festgeschriebenen Grenzwertes von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid (NO2) pro Kubikmeter Luft zweifelsfrei feststehen und alle milderen geeigneten Mittel zur Schadstoffreduzierung erfolglos geblieben sein.Die Automobilindustrie und der Staat haben es in den letzten 10 Jahren in schwerwiegendem Maße versäumt, für die Einhaltung dieses schon lange bekannten Grenzwertes zu sorgen.Verbrauchern, Autobesitzern, Pendlern in den betroffenen Ballungsräumen oder auch nur deren Besuchern drohen Fahrverbote, Bußgelder, erhebliche Wertverluste an ihren Dieselfahrzeugen nach Euro 4 und 5 ,bisher nicht übersehbare Nachteile durch Softwareänderungen wie Leistungsabfall oder Spritmehrverbrauch, Umrüstkosten für Hardwarenachrüstungen in beträchtlicher Höhe oder gar erhebliche Kosten für die Anschaffung eines normgerechten Neufahrzeuges.Wie ist mit diesem erheblichen Fehlverhalten der Automobilindustrie und dem nicht minder schweren Versagen der Politik umzugehen? Diese Frage und weitere Fragen, ob Fahrverbote verhältnismäßig sind und ob kostenfreie Nachrüstung ein realistisches Ziel ist, versuchte der Arbeitskreis VII beim 57. Verkehrsgerichtstag in Goslar zu beantworten.

Arbeitskreis VII Dieselfahrverbote nach Urteil des Bundesverwaltungsgerichts

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Klaus Kunstmann Rechtsanwalt und Notar FOTO: R

Einigkeit bestand unter den Experten des Arbeitskreises zunächst darin, dass der Grenzwert für Stickstoffdioxid seit 2009/2010 verbindliche EU Vorgabe ist. Eine Diskussion wie letzte Woche von 107 Lungenfachärzten angestoßen wurde, dass die Grenzwerte zu hoch seien, ist also rückwärtsgewandt, nicht zielführend und löst das Problem für die Zukunft überhaupt nicht.

Einigkeit bestand auch darin, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz schon eine Abstufung nach Schadstoffklassen erfordert, d.h. die größten Verschmutzer müssen vorrangig und kurzfristig betroffen sein. Dabei ist aber nicht nur auf das Alter der Fahrzeuge bzw. auf ihre Technik, sondern auch auf die tägliche Fahrstrecke in den betroffenen Ballungsgebieten zu achten. Nicht der Pendler, der morgens zu seiner Arbeitsstätte und abends nach Hause fährt, produziert die meisten Schadstoffmengen. Es müssen auch durch staatliche Anreize für veraltete Busse und Lkws gerade der Kommunal- und Versorgungsbetriebe, Taxis und sonstige Lieferwagen vornehmlich in Ballungsgebieten Ersatz durch saubere und/oder auch elektrisch betriebene Fahrzeuge beschafft werden.

"Der Staat hat eine Schutzpflicht für Leben und Gesundheit."

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erfordert auch die zeitliche Befristung von Fahrverboten und die Beschränkung auf einzelne Strecken oder Zonen. Die Experten mussten aber auch zur Kenntnis nehmen, dass dies nur zur Verkehrsverlagerung, anderweitiger Verkehrsbelastung und Verlagerung von Emissionen führt und keine grundlegende Lösung darstellt.

Zudem wurde die Kritik laut, dass die Diskussion zu beschränkt auf Fahrverbote für Dieselfahrzeuge geführt wird und die technisch mögliche Hardwarenachrüstung vom Gesetzgeber nicht forciert wird und er nicht schnell dafür gesetzliche Vorgaben schafft.

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FOTO: THORBEN WENGERT_PIXELIO.DE

Der Staat hat eine Schutzpflicht für Leben und Gesundheit. Er muss auch andere Maßnahmen zur Luftreinhaltung fördern. Die Förderung von elektrisch betriebenen Fahrzeugen im Lieferkettenverkehr in Innenstädten, die Erneuerung der kommunalen Fahrzeugflotten, aber auch Luftfilter, Mooswände, Gebäudebegrünung waren nur einige Forderungen, die erhoben wurden, um dieses Staatsziel zu erreichen.

Ein ganz wichtiger Diskussions- und Kritikpunkt war letztendlich, dass die Richtlinie 2008/50/EG des europäischen Gesetzgebers Vorgaben mit deutlicher Unschärfe und erheblichem Spielraum für die Standortwahl der Messstation und deren Meßbetrieb eröffnet. Die Zielvorgabe des europäischen Gesetzgebers, dass die Daten zur Luftverschmutzung verlässlich und gemeinschaftsweit vergleichbar sind, wird derzeit deutlich verfehlt. Der Hinweis von Frank Plasberg in seiner Sendung „Hart aber fair“ letzte Woche auf eine Messstation in 35 m Höhe auf dem Dach der Universität in Thessaloniki und eine Messstation am Neckartor in Stuttgart unmittelbar neben der Fahrbahn, sind extreme Beispiele, aber zeigen das Dilemma bei den derzeitigen Messungen deutlich auf. Diese unpräzisen Vorgaben widersprechen dem staatlichen Bestimmtheitsgrundsatz und sind rechtlich angreifbar. Hier sind kurzfristige Nachbesserungen durch den Gesetzgeber erforderlich.

Die Experten waren sich schließlich darin mehrheitlich einig, dass es nach derzeitig geltendem Recht keinen durchsetzbaren Rechtsanspruch auf kostenfreie Nachrüstung gegen den Hersteller normgerechter Euro 4 und Euro 5 Dieselfahrzeuge gibt. Gleichwohl besteht durchaus Anlass, über eine Selbstverpflichtung der Hersteller und staatliche Anreize nachzudenken und diese schnellstmöglich umzusetzen.

Die Empfehlungen des AK VII sind nachzulesen unter www.deutscher-verkehrsgerichtstag.de.

Info: Der Autor, Rechtsanwalt und Notar Klaus Kunstmann in Duderstadt ist seit 2006 Fachanwalt für Verkehrsrecht, ADAC Vertragsanwalt und regelmäßiger Teilnehmer am Verkehrsgerichtstag in Goslar.